Der Vorwurf, Schwäne zu essen, wiegt schwer. Schwäne sind elegant, weiß und stehen für ewige Paarverbindungen (sie verbinden sich für immer). Wenn du einen Schwan isst, hast du einen anderen Schwan zu lebenslanger Einsamkeit verdammt.
Andere Tiere werden in Deutschland gerne gegessen: Schweine, Kühe und Lämmer. In dem Moment, in dem ein Steak aus einer Plastikverpackung genommen und auf den Grill gelegt wird, wissen wir wenig über den Familienstand des toten Tieres. Es gibt Magazine zum Fleisch Essen, auf deren Covern aufgerissene Münder über gebratene Fleischschnitten ragen, von denen an der Seite heißes Blut rinnt – ein Symbol fast noch nicht domestizierter Männlichkeit, die die Brille unten lässt, sich aber am Grill austobt.
Andere Entenvögel, kleinere und nicht-weiße Vögel, werden saisonal und ganzjährig in Öfen geschoben, aufgetischt und verspeist.
Warum also gilt das Schwäne essen als verpönt, das Gänse essen jedoch als festlicher Höhepunkt im Jahreslauf? Warum wurden in den Jahren 2015 und den folgenden das Schwäne essen als Vorwurf an Zugezogene und als Symbol der Abgrenzung zu ihnen verwendet – und warum wurden diese Fakenews weiterverbreitet und schienen zu verfangen?
Das Schwäne-essen ist ein starkes Bild. Es werden auch noch UNSERE Schwäne gegessen – nicht anderer Leute Schwäne, nicht freie Schwäne – UNSERE. Unsere schwimmende Teichdeko, unsere Märchensymbole, bei dessen Anblick wir seufzen und an verzauberte Prinzessinnen denken.
Das Bild vom Schwäne essen ist so stark, da sich hier die Bedeutungen überlagern. Schwäne stehen auch für die weiße Frau[1]. Die weiße, edle Frau, konstruiert als Sehnsuchtsziel der working class. Die weiße Frau, die rein und edel ist, weil sie nicht arbeiten muss, die verträumt und hingebungsvoll Müßiggang betreibt, die unerreichbar für normale Männer wie auch für den Schmutz des Alltags ist. Die Schwan-Frau im See (Schwanensee), die weiße Schwanfrau, die eine verzauberte Prinzessin sein könnte, leitet die Begierden der Männer, die darauf anspringen, weg von den echten Frauen in ihrem Umfeld hin zu der Frau, die sie nicht haben können, halten sie in der Unzufriedenheit, in der Unbefriedigung und nähren so den Hunger, der der Raketenantrieb für die Manie dieser Welt ist.
Isst du dieses Symbol, vernichtest du die Chancen auf Aufstieg, lässt du die Bewunderer der Schwanfrau in schmutziger lebenslanger Ziellosigkeit zurück. Sie finden nicht zu den normalen Frauen zurück, sie sind für sie namen- und seelenlos. Denn diese Art von Mann will nicht im alltäglichen lebendigen Dreck leben, in dem gestillt, menstruiert, gefühlt wird. Unbedrohlicher – und Ekel ist massiv bedrohlich, ein krass unterschätztes Gefühl – ist die Sehnsucht nach der weißen Schwanfrau, unveränderlich geschwungen gespiegelt auf dem Wasser, ein Bollwerk gegen das, was in den Tiefen lauert. Du musst nicht leben, wenn du dich sehnen kannst. Du brauchst keine Angst, wenn du dich sehnen kannst. Du versagst nicht, wenn du dich sehnen kannst. Es ist nichts Undefiniertes an einem Schwan, ein Schwan leuchtet sich selber aus.
Das Schwäne essen ist also eine Variation des Vorwurfs des „Frauen wegnehmens“ – die Schwanfrau existiert nur unter der Gnade der Männer, die sie im See belassen und nicht ans dreckige Ufer zerren. Die Schwanfrau genügt sich auf dem See. Sie ist Objekt, Trophäe, willenlos.
Wenn du dich also jemals gefragt hast, warum dir beim Gedanken ans Schwäne-essen unwohl ist, warum du lieber freundliche Schweine, niedliche Lämmer, dumme Gänse und gutmütige Kühe isst, aber keine weißen eleganten Schwäne… ist das rational?

[1] Beschrieben von Klaus Theweleit in „Männerphantasien“